Pforzheim – Die Mischung macht’s REVISITED #9

Pforzheim - Die Mischung macht's REVISITED #9

DF

Zu Gast: Tamene Dissassa (Äthiopien, in Pforzheim seit 2003), Margarita Horlbeck (Kolumbien, in Pforzheim seit 2017) und Rebecca Nagel (Deutschland, in Pforzheim seit Geburt)

In Pforzheim lebt die Welt. Menschen aus mehr als 140 Nationen – viele bei uns geboren. In den Kurzfilmen von PF-Die Mischung macht’s wurden seit 2010 47 Menschen mit vielen verschiedenen kulturellen und religiösen Hintergründen portraitiert. Nun möchten wir diese Menschen wieder treffen, sie anhand ihrer Filmportraits vorstellen und mit ihnen sprechen wie sich ihr Lebensweg in den letzten Jahren gestaltet hat.

„Die Mutter von Pforzheim“

Da fällt dann auch der schlagfertigen Geschäftsführerin des Kommunalen Kinos Pforzheim (Koki) Christine Müh erst mal nichts mehr ein, als Tamene Dissassa erst die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel mit „Mutter der Nation“ bezeichnet und im gleichen Atemzug Christine Müh als „Mutter von Pforzheim“. Damit will der Äthiopier verdeutlichen, wie sehr ihm die Koki-Geschäftsführerin aus einem tiefen mentalen Loch herausgeholfen hat. Nun, vielleicht nicht per se die Person Müh, aber doch ihre Initiative für die Projektreihe „Pforzheim – die Mischung macht´s“ mit den Porträts von Menschen aus Pforzheim – mit und ohne Migrationshintergrund. Da wurden durchaus in den ganzen Jahren Personen zusammengebracht, die Ähnliches erlebt und zu teilen hatten. Und in diesem Jahr mit der „revisited“-Reihe, die auf der Grundlage der damals entstandenen Filme die Protagonisten „von heute“ einlud.

Sehr unterschiedliche Geschichten

Neben Tamene Dissassa, der fast schon Philosophisches im Film und beim Podiumsgespräch von sich gibt ist es die Kolumbianerin Margarita Horlbeck, die zu Wort kommt sowie ihre im Teenageralter sich integrierende Tochter Marianna Franco. Auch Protagonistin Emmy Seela Siegle aus Kenia sitzt auf dem Podium und stellt Fragen. Sehr gegensätzlich sind die erzählten Geschichten am letzten Abend – es wird am 18. September noch einen Abschlussabend mit Konzert im Kulturhaus Osterfeld 2022 geben: Während die kolumbianische Familie – die als Mediengestalter ausgebildeten Eltern und ihre beiden halbwüchsigen Kinder – mit einem deutschen Pass und deutschen Verwandten schnell Fuss fassen wartet der Äthiopier Tamene Dissassa acht Jahre darauf, dass seine Aufenthaltsgenehmigung wahr wird. Da ist der Zug seiner chemischen Ausbildung und Erfahrung schon abgefahren und er sieht sich gezwungen, Arbeit bei einem Versandhandel anzunehmen. Das sagt er nicht im unzufriedenen Ton. Seine Devise, die er auch im Film klar äußert, lautet: Freude am Leben, sich nicht am Negativen festklammern, sondern am Positiven.

Äthiopische Lebensfreude

Er möchte, das betont Tamene Dissassa, Pforzheim und damit seine Heimat Deutschland nicht schlecht machen. Aber in seiner Heimat Äthiopien sitze man einfach so mal zusammen, trinke einen Kaffee und „nimmt sich Zeit füreinander“. „Auch wenn die Menschen wenig haben können sie lachen. Und man teilt alles miteinander.“ Das und die Lebensfreude verbindet er mit Äthiopien. Und dann wird es auch ein wenig politisch. Es seien „die Länder mit Macht“, die nach den Bodenschätzen Afrikas greifen und damit Unruhe stiften würden. Seine in Pforzheim geborene Tochter sieht die Lebensfreude bei einem Besuch mit ihrem Vater in Äthiopien aufleben und sie erlebt die Mentalität in dem afrikanischen Land, was ihre Seele offenbar so berührt, dass sie beschließt, dorthin auszuwandern. „Sie ist dort glücklicher als hier“, sagt ihr Vater. Aber das Leben, so Tamene Dissassa, sei keine Einbahnstraße. Er schätzt in Deutschland, die „wunderbare“ Demokratie und dass hier jeder in Sicherheit leben könne. „Ich bin hier das erste Mal zur Wahl gegangen.“ Auch das war erhebend für den schlanken Mann.

Die Kinder und ihre traurige Mutter

Margarita Horlbecks Sohn und Tochter erleben die Mutter in Kolumbien nur noch traurig, da diese sich zusammen mit ihrem Mann vergeblich bemüht, sich als Mediengestalter über Wasser zu halten. „So wollte ich nicht mehr weitermachen.“ Zudem sieht sie für die Zukunft ihrer Kinder, die eine gute Bildung nur mit viel Kapital erhalten würden, schwarz. Also beschließen sie und ihr Mann – obwohl deren seit Jahrzehnten in Deutschland lebende Brüder abraten – nach Deutschland und damit nach Pforzheim auszuwandern. Zum richtigen Zeitpunkt: Beide lernen schnell Deutsch (wobei Margaritas Vater Deutscher ist und sie auch in Kolumbien wie ihre Kinder eine deutsche Schule besucht) und finden schnell eine Arbeit in ihrem erlernten und ausgeübten Beruf. Und Margarita Horlbeck findet in Rebecca Nagel von Q-Prints&Services in Pforzheim eine gute Beraterin, die ihr hilft, zum ersten Mal in ihrem Leben eine Bewerbung zu schreiben. Die Tochter Marianna Franco allerdings räumt ein, wie schockiert sie zunächst über die Entscheidung der Auswanderung gewesen sei; es sei aber „die beste Entscheidung“ gewesen. Auch wenn sie sich beiden Ländern und damit keinem richtig zugehörig fühlt. „Schon etwas komisch“, sagt sie. Sie selbst sei aber durch ihren deutschen Pass besser dran gewesen als viele ihre Mitschüler, die ihr einfach leidgetan hätten, sagt die junge Frau. Wenn sie sentimental sei träume sie auf Spanisch, sagt sie. „Wenn ich aufgeregt bin auf Deutsch.“ Gefühle, so sagt auch ihre Mutter Margarita Horlbeck, könne man nur in der Muttersprache richtig ausdrücken.

PFORZHEIM - DIE MISCHUNG MACHT'S REVISITED #9 | 0 | ab 0 Jahren | 90 Minuten